Stellungnahme der BKMO zum Tod von Mohamed Dramé: Polizeischutz muss für alle gelten!

Polizeischutz muss für alle gelten – wir fordern eine unabhängige Untersuchungskommission!

Ein Messer. Ein Maschinengewehr. Wieder stirbt ein Mensch. Wieder ist eine geflüchtete Person tot. Am 8. August 2022 wurde der 16-jährige Jugendliche Mohamed Lamine Dramé von einem Polizisten in einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund erschossen, nachdem eine betreuende Person ihn mit einem Messer gesichtet hatte. Zuvor hatte er sich aufgrund von psychischen Problemen selbst in eine Psychiatrie eingewiesen, sodass zum Zeitpunkt des Anrufs Suizidalität nicht ausgeschlossen werden konnte. Unsere Gedanken sind bei seinen Familienangehörigen im Senegal und allen, die er in sein Herzen geschlossen hatte. Ihnen möchten wir unser aufrichtiges Beileid aussprechen.

Dass Hass und Menschenverachtung ein kaum vorstellbares Gewaltpotential haben, wurde nicht nur in den letzten Wochen durch Gedenktage an furchtbare Verbrechen deutlich; z.B. mit dem Europäischen Porajmos-Gedenktag in Erinnerung an den Genozid an den Roma und Sinti am 8. August oder dem Internationalen Gedenktag für die „Trostfrauen“ aus neun Ländern, die während des Zweiten Weltkriegs in den Händen der japanischen Besatzungsmacht verschleppt, gefoltert und zu sexuellen Sklavinnen für Massenvergewaltigungen gemacht wurden am 14. August.

Innerhalb einer Woche verloren vier Personen, darunter drei Migranten, durch Polizeibeamt*innen ihr Leben. Am Dienstag, dem 2. August, wurde ein 23-jähriger obdachloser Somalier von SEK-Beamten im Frankfurter Bahnhofsviertel erschossen. Im Gegensatz zu ihm überlebte der Polizeihund, den er mit einem Messer angegriffen hatte, die Notoperation. Am folgenden Tag, dem 3. August, wurde der suizidgefährdete stadtbekannte russische Straßenmusiker Jozef Berditchevski während der Zwangsräumung seiner Wohnung in Köln von Polizist*innen erschossen. Nach einem polizeilichen Einsatz mit Pfefferspray und „Fixierung“ starb ein 39-jähriger Mann am 7. August in Oer Erkenschwick (Nordrhein-Westfalen).

Im Gegensatz zu den internationalen Protestbewegungen infolge der gewaltsamen Ermordung von George Floyd in den USA am 25. Mai 2020 blieben die Berichterstattung und Straßen nach diesen Vorfällen außer in Städten wie Dortmund und Hamburg eher ruhig.

Als die „Black-Lives-Matter“-Bewegung auch in Deutschland an Momentum gewann, wurde auf „amerikanische Verhältnisse“ verwiesen, die keinesfalls der Situation in der Bundesrepublik entsprechen sollten. Inzwischen sind auf der Website „polizeischuesse.cilip.de“, die alle Vorkommnisse aufzulisten versucht, seit der Wiedervereinigung im Jahr 1991 mindestens 315 Fälle aufgelistet, bei denen „Personen durch Kugeln der deutschen Polizei getötet“ wurden. Dazu zählt auch der Tod der 26-jährigen Marieme Ndeye Sarr in Aschaffenburg (Bayern) am 14. Juli 2001 in ihrem Familienhaus. Nicht aufgelistet wurde der Tod von Christy Schwundeck am 19. Mai 2011 in einem Job-Center in Frankfurt am Main durch Polizeischüsse. Hinzu kommen Menschen, die in Polizeigewahrsam verstarben: Oury Jalloh verbrannte am 7. Januar 2005 bei einem Brandanfall in seiner Zelle, Laye-Alama Condé verstarb 2005 in Bremen nach der zwangsweisen Verabreichung von Brechmitteln, der 23-jährige Kongolese Dominique Kouamadio wurde am 14. April 2006 von einem Polizisten in Dortmund aus mehreren Metern Entfernung von einer Kugel direkt ins Herz getroffen. Außerdem erliegen mehrere geflüchtete Menschen Misshandlungen während gewaltsamer Abschiebungsversuche: 1999 erstickte Amir Ageeb auf grausame Weise in einem Flugzeug, um ein trauriges Beispiel zu nennen.

Migrant*innen scheinen Polizeieinsätze in sehr verschiedenen Kontexten nicht zu überleben. Das stellt zunächst die grundsätzliche Frage nach den von der Polizei eingesetzten Waffen, Mitteln und Methoden (von Teaser bis zur Diffraktionsmunitionen).

Menschen, die ihrem Land entfliehen, Menschen die aus anderen Gründen migriert sind und Menschen, die hier geboren sind, müssen aber eine gemeinsame Sicherheit haben: Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie, wenn die Polizei gerufen wird, nicht später in einem Sarg weggetragen werden.

Nicht zuletzt seit der immer noch nicht lückenlosen Aufdeckung und Aufklärung der NSU-Mordserie sind die Forderungen immer lauter geworden nach Beschwerdeverfahren zur wirksamen Bekämpfung des institutionellen Rassismus in den Behörden, für ein Ende der Straffreiheit für rassistische Morde und für eine unabhängige Kommission zu ihrer Aufklärung. Außerdem darf bei Mordfällen und sonstigen Angriffen ein rassistisches Tatmotiv nicht bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden. Neben strukturellem, institutionellem und Alltagsrassismus, Sexismus und weiteren Formen der Mehrfachdiskriminierung – Stichwort Intersektionalität – soll Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund einer angeblichen sozialen Herkunft, auf ihre Auswirkungen in Polizeieinsätzen mit schweren Verletzungen bzw. Todesfolgen bundesweit gründlich untersucht werden.

Als Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen unterstützen wir ausdrücklich den Aufruf von Rassismusforschenden wie Prof. Dr. Claus Melter und Prof. Dr. Karim Fereidooni, eine unabhängige Untersuchungskommission zum Tod von Mohamed Dramé durch die Dortmunder Polizei einzurichten. Wir fordern eine umfassende, gründliche Aufklärung, um darauf aufbauend Maßnahmen ableiten zu können, sodass alle Menschen in der Bundesrepublik sich herkunftsübergreifend sicher(er) fühlen können.

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26% der Menschen in Deutschland haben Migrationsgeschichte und brauchen eine Stimme: Die Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO) ist ein Zusammenschluss von über 70 Migrant*innenorganisationen mit dem bundespolitischen Anspruch, als Ansprechpartner von Bundestag und Bundesregierung politische Impulse zu setzen und zu einer zukunftsgewandten, alle umfassenden und teilhabeorientierten Politik beizutragen. www.bundeskonferenz-mo.de

 Der Vertreter*innenrat der BKMO

Michael AlliMadi, Panafrikanische Organisation; Ehsan Djafari, Iranische Gemeinde in Deutschland e.V.; Sami Dzemailovski, Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege Empowerment und Diversity; Meral El, neue deutsche organisationen e.V.; Dunja Khoury, Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine; Mamad Mohamad, Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V.; Marianne Ballé Moudoumbou, Pan African Women’s Empowerment and Liberation Organisation; Galina Ortmann, Bundesverband interkultureller Frauen BiFeV; José Manuel Paca, Dachverband der Migrantenorganisationen in Ostdeutschland; Dr. Kamila Schöll-Mazurek, Polnischer Sozialrat e.V.; Susanna Steinbach, Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.; Karen Taylor, Each One Teach One (EOTO) e.V.; Efe Ural, Young Voice TGD e.V.