Stellungnahme der BKMO zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine
Stellungnahme der BKMO zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine
Berlin, 15. März 2022
Seit dem 24. Februar 2022 steht die Bevölkerung der Ukraine unter Beschuss. Die Welt steht unter Schock. Berichte über zerrüttete Leben und Traumata und Bilder zerstörter Gebäude erreichen die Öffentlichkeit.
Die BKMO begrüßt die schnelle Reaktion und die große Hilfs- und Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung und die prompte Reaktion von Ministerien und Verwaltung in einer Zeit der Pandemie und verurteilt in schärfster Form diesen Krieg.
Von Beginn an leisten Migrant*innen- und Neue Deutsche Organisationen einen wesentlichen Beitrag beim Willkommenheißen und bei der Aufnahme und Unterstützung von Menschen, denen es nach schweren Strapazen gelungen ist, den Weg in ein sicheres Land zu finden.
Jedoch muss nach den Erfahrungen der letzten Tage Folgendes festgestellt werden:
- Rassismus und weitere Formen der Diskriminierung werden in Krisensituationen wie bewaffneten Konflikten verschärft. Es ist unannehmbar, dass Menschen aus rassistischen Gründen am Einsteigen in Züge in der Ukraine gehindert bzw. mit Gewalt des Platzes verwiesen werden, aussteigen, und tagelang ohne Wasser und Versorgung jeglicher Art verharren müssen.
- Bei der Ankunft in Deutschland an der deutsch-polnischen Grenze mussten Menschen mit afrikanischen Vorfahren auf Anforderungen von Polizeibeamten den Zug nach Berlin-Hauptbahnhof verlassen; eine Schwarze ukrainische Familie wurde an der Grenze dazu aufgefordert, einen Asylantrag zu stellen.
- Die Situation für ukrainische Roma ist besonders dramatisch, da sie auf der Flucht von vielerlei Seiten und Ländern Rassismus und Ausgrenzungen ausgesetzt sind.
- Bei der Ankunft in Berlin ist es viel schwieriger für Menschen mit Rassismuserfahrung, eine Unterkunft zu finden.
- Kinder, Menschen mit Behinderungen und kranke Menschen sind in höchstem Maße die Leidtragenden.
“Afrikanische Studierende melden internationalen Medienberichten zufolge „Gesichtskontrollen“, also „racial profiling“, die eine diskriminierende Handhabe nach dem Motto „Ukrainer first“ nach sich ziehen” schreibt die EU-Abgeordnete Dr. Pierrette Herzberger Fofana in einem Beitrag auf ihrer Webseite[1]. Und sie bemerkt: “Europa solidarisiert sich mit der Ukraine auf Basis europäischer Werte. Ein friedliches Europa und auch ein Europa, das mit Krieg zu kämpfen hat, lehnt eine Klassifizierung aufgrund von Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung in jeder Hinsicht strikt ab.”
Vor diesem Hintergrund müssen nach Auffassung der BKMO dringende Maßnahmen ergriffen werden:
- Einen sicheren und dauerhaften Aufenthalt für alle Menschen, die keine ukrainische Staatsangehörigkeit haben und einen Aufenthalt in der Ukraine hatten.
- Faire Möglichkeiten für Menschen, die keinen sicheren und dauerhaften Aufenthalt in der Ukraine hatten. Sie müssen die Möglichkeiten erhalten, Anträge für einen sicheren Aufenthalt zu stellen, einschließlich aus Gründen des Krieges und der politischen Verfolgung.
- Besondere Aufmerksamkeit gilt der Situation von Menschen, die in der Ukraine studiert hatten und deren Aufenthaltstitel vor Kurzem ausgelaufen ist.
Diese Maßnahmen sollen nicht nur für Menschen Anwendung finden, die vermeintlich “unter sicheren und dauerhaften Bedingungen in ihr Herkunftsland zurückkehren können.” Vielmehr sollte der Aufenthalt über Regelungen nach der Richtlinie 2001/55 EG und §24 AufenthG hinaus gesichert werden.
Zum Zweck der Entwicklungszusammenarbeit macht es auch Sinn, Studierenden, die zum Teil am Ende ihres Studiums sind und zum Teil selber aus Kriegsgebieten kommen, einen Abschluss in Deutschland zu ermöglichen.
Am 28. Februar 2022 haben in Addis Abeba der amtliche Vorsitzende der Afrikanischen Union und Präsident der Republik Senegal, S.E. Macky Sall und der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, S. E. Moussa Faki Mahamat, in einer gemeinsamen Erklärung ermahnt, dass “alle Menschen das Recht haben, während eines Konflikts internationale Grenzen zu überschreiten, und dass sie daher ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit oder [sog.] Rassenzugehörigkeit das gleiche Recht haben sollten, sich vor dem Konflikt in der Ukraine in Sicherheit zu bringen.
“Der Einsatz für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit ist für uns unverzichtbarer Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik. Wir bekennen uns zu unserer humanitären Schutzverantwortung und wollen die Verfahren zu Flucht und Migration ordnen.” (S. 7), heißt es im Koalitionsvertrag.
Die Beispiele vom Irak und von Libyen haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass dadurch nicht nur die Bevölkerung unermessliches Leid erfährt, sondern auch ganze Regionen destabilisiert und verwüstet werden, und auch terroristische Gruppierungen und Organisationen gestärkt und Millionen Menschen in die Flucht getrieben werden. Bei der Aufnahme von Menschen auf der Flucht aufgrund von Terrorismus und Krieg trägt die Bevölkerung der Nachbarländer die größte Last. Von Sicherheitspolitischer Kehrtwende wird erst die Rede sein können, wenn alle Staaten davon abkommen, die Bevölkerung anderer Länder bzw. Kontinente unter Vorwänden unter Beschuss zu nehmen.
Viele Organisationen befürchten Budgetkürzungen oder die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, etwa aufgrund der humanitären oder gesellschaftlich-politischen Arbeit, die sie zurzeit verstärkt leisten. Viele handeln nach dem Prinzip, dass jeder Mensch, der zu uns nach so großer Strapaze und unter Lebensgefahr kommt, bleiben können sollte. Sie starten die Fortsetzung einer Willkommensoffensive.
In diesem Kontext ist eine Stärkung der Migrant*innenorganisationen, die einen nachhaltigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und Friedenskultur leisten, unerlässlich.
Mit dem Slogan “Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit” ist die Regierungskoalition angetreten. Unter “Ausbildung” heißt es in der Koalitionsvereinbarung “Wir öffnen die Hilfen für Geflüchtete” (S.66). Um den “Schutz vor Gewalt” zu gewähren wird versprochen: “Wir berücksichtigen die Bedarfe vulnerabler Gruppen wie Frauen mit Behinderung oder geflüchteter Frauen sowie queerer Menschen” (S. 115). Es heißt über Wohnen: “Wohnen ist ein Grundbedürfnis und so vielfältig wie die Menschen.” Und weiterhin wird der Wille erklärt, den “Zugang für Asylbewerberinnen und Asylbewerber zur Gesundheitsversorgung unbürokratischer [zu] gestalten” (S. 140). Die Familienzusammenführung (S. 140) soll erleichtet werden. Bei all diesen Themen wollen wir die Regierungskoalition beim Wort nehmen können.
Gerne erinnern wir an die 89 Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus, an die BKMO-Kernforderungen einschließlich der Antirassismus-Agenda 2025, das Bundespartizipationsgesetz, den Partizipationsrat und ein progressives Bundesministerium für die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft. Wir wollen nämlich zusammen mit allen anderen Migrant*innenorganisationen, Migrant*innen und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft, in Kooperation mit der Bundesregierung, Bundesministerien, Landesregierungen und Ministerien, mit den Gemeinden und mit der Verwaltung auf allen Ebenen, einen Beitrag dazu leisten, dass im Slogan “Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit” der Zusatz “für alle”, einschließlich der Menschen, die aus der Ukraine von heute auf morgen fliehen mussten und müssen, zur greifbaren Realität wird.
[1] Zugang 05.03.2022, 21:00 Uhr, vgl. https://herzberger-fofana.eu/
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26% der Menschen in Deutschland haben Migrationsgeschichte und brauchen eine Stimme: Die Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO) ist ein Zusammenschluss von über 70 Migrant*innenorganisationen mit dem bundespolitischen Anspruch, als Ansprechpartner von Bundestag und Bundesregierung politische Impulse zu setzen und zu einer zukunftsgewandten, alle umfassenden und teilhabeorientierten Politik beizutragen. www.bundeskonferenz-mo.de
Der Vertreter*innenrat der BKMO
Michael AlliMadi, Panafrikanische Organisation; Ehsan Djafari, Iranische Gemeinde in Deutschland e.V.; Sami Dzemailovski, Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege Empowerment und Diversity; Meral El, neue deutsche organisationen e.V.; Dunja Khoury, Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine; Mamad Mohamad, Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V.; Marianne Ballé Moudoumbou, Pan African Women’s Empowerment and Liberation Organisation; Galina Ortmann, Bundesverband interkultureller Frauen BiFeV; José Manuel Paca, Dachverband der Migrantenorganisationen in Ostdeutschland; Dr. Kamila Schöll-Mazurek, Polnischer Sozialrat e.V.; Susanna Steinbach, Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.; Karen Taylor, Each One Teach One (EOTO) e.V.; Efe Ural, Young Voice TGD e.V.